Dienstag, 21. Juli 2015

Paartherapie oder doch die Revolution?

Annika Reich erzählt in ihrem Roman "Die Nächte auf ihrer Seite" mehrere Geschichten, die zeitversetzt oder parallel passieren.
Im Mittelpunkt sind die beiden Frauen Ada und Sira, deren Lebenskonzepte gegenüberstehen. Ada, Filmemacherin, getrennt Lebende und Mutter einer Tochter, die in dieser Rolle nicht immer das passende Kleid findet, von einem One-Night-Stand zum nächsten stürzt und ihre gescheiterte
Beziehung zum Vater des Kindes Farid zu verstehen versucht.
Sira, Halbägypterin, die "keine Lust auf eine politische Situation hat" und doch mitten in der ägyptischen Revolution gegen das Mubarak-Regime landet, wodurch ihr Leben in Berlin an Halt verliert. Sira hat nun keine Wahl mehr. Sie stellt sich ihrer politischen Situation und muss sich eingestehen, dass ihr Leben nicht mehr passt.
Ada hingegen verweilt in ihrer Reflexion und filmt in ihrem Hinterhof heimlich Paare, die zum Paartherapeuten gehen und von ihm kommen. Sequenzen, die für uns LeserInnen zum Vergnügen werden.
Der Roman wirft unhaltbar die Frage auf, wie nah sind sich Politik und Privates und wie sehr beeinflussen sie sich gegenseitig. Kann sich eine individualisierte Gesellschaft weiterhin aus dem politischen Geschehen raushalten oder wird der Raum der Entfaltung immer enger?
Und trotz der Schwere und Ernsthaftigkeit des Themas bleibt das Buch leicht und wirft mühelos alle Luxusprobleme über Bord.

"Mögen Sie eigentlich keine Farben?", fragte sie dann.
"Wie kommen Sie denn darauf?"
"Weil es hier keine gibt."
"Ach so? Ist mir noch nie aufgefallen, aber wissen Sie was: Mir sind Möbel völlig egal. Wohnen wird total überschätzt. Dieses ständige Rumgewohne ist mir immer schon auf den Geist gegangen."

Wunderbar! Unbedingt lesen!

Annika Reich
Die Nächte auf ihrer Seite

Hanser Verlag, München 2015

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