Montag, 19. Oktober 2015

Merle Krögers Havarie oder ein Reigentanz der Gegenwarten

Merle Kröger - Havarie
"Wer bist du? Wo ist deine Heimat? Wer sind deine Eltern? Fühl nur, ich bin hier. Es wird alles gut. Hör gut zu. Ich will dir eine Geschichte erzählen."

Merle Kröger erzählt in ihrem Politthriller die Geschichte eines Flüchtlingsdramas. Der Plot des Romans spielt sich auf dem Mittelmeer ab, wo sich ein Kreuzfahrtschiff und ein in Seenot geratenes Flüchtlingsboot begegnen. Laut Seerecht muss das Luxusschiff solange bei dem Boot bleiben, bis die Seenotrettung eintrifft. Aus 11 Perspektiven schildert Merle Kröger in kurzen Sätzen und scharf beobachtet die aufeinanderprallenden Welten. Spannend bis zur letzten Seite, gegenwartsnah und absolut lesenswert.

Merle Kröger
Havarie

Argument Verlag 2015

Freitag, 18. September 2015

Samstag, 29. August 2015

Mittwoch, 26. August 2015

Americanah oder was bedeutet die Hautfarbe schwarz?

Chimamanda Ngozi Adichie erzählt in ihrem Roman von Ifemelu und Obinze, die im Nigeria der neunziger Jahre eine Liebesbeziehung beginnen, bis Ifemelu zum Studieren in die USA geht. Sie trennen sich mit dem Versprechen in Kontakt zu bleiben und auf die gemeinsame Zukunft zu warten. 
In den USA erlebt sie kultur- und hautfarbenbedingte Diskriminierung. Nach anfänglichen Schwierigkeiten fasst sie Fuß, beginnt ihr Studium, hat einen Job und einen weißen reichen Freund. Sie schafft es nicht, zu Obinze den Kontakt zu halten. Ihre Loyalität bekommt Kratzer. Aus ihrer besonderen Position einer amerikanischen Afrikanerin heraus wird sie zu einer scharfen Beobachterin und auch zu einer Schwarzen der amerikanischen Gesellschaft. Sie beginnt einen Blog, der in kürzester Zeit sehr erfolgreich wird. Präzise schildert sie die schablonenhafte Welt der Amerikaner, in der Hautfarbe das Sein bestimmt. 
Obinze hingegen reist nach England, wo er sich als Illegaler versucht durchzukämpfen. Er wird abgeschoben und muss wieder zurück nach Lagos. Dort gelingt ihm nach der Militärdiktatur eine Karriere. 
Ifemelu verliert in den USA zunehmend an Halt. In ihrer neuen Beziehung zu einem politisch aktiven Afro-Amerikaner wird sie zu ihrer eigenen Beobachterin, sie fühlt sich falsch an ihrem ihr zugedachten Platz. Und so bricht sie ihr Lager ab und kehrt zurück nach Nigeria, nach Lagos und vielleicht zu Obinze. 

Ein wunderbares Buch, das sehr viel erzählt über die Kultur der USA und der von Afrika. Und es ist ein Buch, das über Heimat nachdenkt und über Liebe als Notwendigkeit. Absolut lesenswert!

Chimamanda Ngozi Adichie
Americanah

Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2015


Freitag, 14. August 2015

Kultur vs. Angst

Angst und Kultur - passt das zusammen? Wo hört Angst auf, wenn Kultur beginnt? Oder wo hört Kultur auf, wenn Angst beginnt?
Kann sich eine Kultur entfalten, wenn eine Gesellschaft von Angst beherrscht wird?
Deutschland wird zurzeit dominiert von einer Angst vor Fremden, vor Flüchtlingen, vor Schwarzen. Junge deutsche Männer in Herrscherposen, unvermummt - d.h. ohne Befürchtung vor Konsequenzen, Strafen oder öffentlicher Häme - zeigen sie sich auf Fotos im Netz und in Zeitungen. Unverhüllt ihr Hass und ihre Abneigung, Gebärden eines neu erwachten Zusammenhalts des Volkes. Über deutsche Grenzen hinweg verbünden sich die Ängstlichen, die deutsche Angst wird zu einer europäischen und die europäische zu einer deutschen.
Doch was wird aus einer Kultur, die von Angst geprägt ist? Wenn Angst den Einzelnen abschneidet, wenn sie Kreativität verwelken lässt und Bewegung erschwert, dann stirbt Kultur.

Sonntag, 9. August 2015

Schwerelose Rebellion

Andreas Maier erzählt in seinem Roman "Der Ort", welcher ein Fragment seines Romanzyklus Ortsumgehung ist, die Geschichte einer Pubertät in den frühen 80er Jahren der Bundesrepublik Deutschland.
Der 15-jährige Andy sucht in seiner heimatlichen Kleinstadt Sinn, begehrt auf, politisch und natürlich gegen die Eltern und erlebt die erste große Liebe.
  "Ich drehte meinen Kopf nicht zu ihr, sondern schaute für diesen Moment, der mir heute allerdings wie eine Ewigkeit vorkommt, in den Partyraum und auf die anderen. Eigentlich schaute ich aber auf nichts und niemanden Bestimmten, sondern einfach bloß in die Welt hinaus, wie man auf ein Meer oder in die Farben des Himmels schaut. Ich war über das, was eben geschehen war (das Anlehnen), nicht erstaunt, denn ich hatte schon andere Mädchen berührt, aber es durchströmte mich diesmal etwas, was ich nicht kannte. Alles war von mir genommen, ich hatte keinerlei Fragen, es gab keine Notwendigkeiten, etwas hatte sich plötzlich aufgelöst."
Andy läuft täglich durch das Dorf, betrachtet die Erwachsenen, wie sie ihren für ihn sinnlosen Tätigkeiten nachgehen - die auf Vorrat Unterhosen kaufende Mutter, der routiniert und in "gewaschenen, gestärkten, gebügelten/gemangelten" Unterhosen zur Arbeit fahrende Vater - er analysiert und größenwahnt pubertär. Seine Selbstfindung ist elementar.
 "Ich war dabei, ein Bild von mir selbst zu entwerfen, das erste Bild meiner eigenen Wahl."
Mit Steppenwolf, Malte und dem Zauberberg rebelliert er gegen die Familie und die Nazis der CDU-Parteimitglieder.
Andreas Maier schreibt die Geschichte eines Jugendlichen und schafft zugleich das Bild eines westlichen Deutschlands der 80er Jahre. "Der Ort" wird zunehmend kleiner für den Protagonisten und lässt mich humorvoll an meine eigene Pubertät erinnern, die nicht ohne Kollateralschaden vonstatten ging. Ich warte bereits auf den nächsten Teil der Ortsumgehung. Sehr lesenswert!


Andreas Maier
Der Ort

Suhrkamp Verlag, Berlin 2015


Drei Knöpfe für das gute Aussehen!



Ich verleihe diesem Buch



drei von drei Knöpfen für Farben, Motiv und Titel!

Stephan Wackwitz
Die Bilder meiner Mutter

S. Fischer Verlag, Frankfurt a. Main 2015

Umschlaggestaltung: Nicole Lange
Umschlagabbildung: Margot Wackwitz

Sonntag, 26. Juli 2015

Lola sucht

Mirna Funk erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die zwischen den Identitäten steckt.
Lolas Großeltern haben Dachau überlebt. Ihr Vater trägt in sich die jüdischen Wurzeln und verschwindet, als sie noch ein Kind ist, nach Australien. Ihre Mutter hingegen ist Deutsche und lässt sie ebenfalls für ein gesichertes Leben mit ihrem neuen Lebensgefährten zurück. Lola wächst bei den jüdischen Großeltern in Berlin auf.
Durch den immer lauter werdenden Antisemitismus der Hauptstadt stößt Lola gegen ihre Identitäten. Sie flieht 2014 nach Tel Aviv zu ihrem mittlerweile emigrierten Großvater und ihrem Geliebten Shlomo. Im Sommer desselben Jahres herrscht Krieg in Tel Aviv und für Lola beginnt eine Zeit des Aufbegehrens und der Selbstfindung.

"Lola nahm einen schwarzen Kajalstift aus ihrem Lederbeutel, beugte sich über das Waschbecken, so dass sie sich besser im Spiegel sehen konnte, setzte ihn über ihrer Oberlippe an und malte den Bereich ihres Philtrums vollständig aus. Dabei entstand ein anderthalb Zentimeter hohes und ein Zentimeter breites schwarzes Rechteck, das aufgrund der Glitzerpartikel im Kajalstift leicht schimmerte. Sie wusch sich die Hände, trocknete sie mit grauen, rauen Papiertüchern ab und ging zurück zum Gerichtssaal."

Mitreißend, diese laute, unberechenbare, manchmal widersprüchliche Stimme - aufrüttelnd, eine Protagonistin, die kämpft und rebelliert - und traurig, dass Autorin Mirna Funk die Realitäten eines antisemitischen Berlins von 2014/15 schildert.
Absolut lesenswert!


Winternähe

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015

Samstag, 25. Juli 2015

Rückwärts gehen


von
Paula Franke
*Live-Lyrikerin*

Freitag, 24. Juli 2015

Drei Knöpfe für das gute Aussehen!

Ich verleihe diesem Buch 



drei von drei Knöpfen für Farben, Motiv und Titel!

Kate Hamer
Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit

Arche Verlag, Zürich 2015

Umschlaggestaltung Elbstern
Umschlagmotiv clairette

Dienstag, 21. Juli 2015

Paartherapie oder doch die Revolution?

Annika Reich erzählt in ihrem Roman "Die Nächte auf ihrer Seite" mehrere Geschichten, die zeitversetzt oder parallel passieren.
Im Mittelpunkt sind die beiden Frauen Ada und Sira, deren Lebenskonzepte gegenüberstehen. Ada, Filmemacherin, getrennt Lebende und Mutter einer Tochter, die in dieser Rolle nicht immer das passende Kleid findet, von einem One-Night-Stand zum nächsten stürzt und ihre gescheiterte
Beziehung zum Vater des Kindes Farid zu verstehen versucht.
Sira, Halbägypterin, die "keine Lust auf eine politische Situation hat" und doch mitten in der ägyptischen Revolution gegen das Mubarak-Regime landet, wodurch ihr Leben in Berlin an Halt verliert. Sira hat nun keine Wahl mehr. Sie stellt sich ihrer politischen Situation und muss sich eingestehen, dass ihr Leben nicht mehr passt.
Ada hingegen verweilt in ihrer Reflexion und filmt in ihrem Hinterhof heimlich Paare, die zum Paartherapeuten gehen und von ihm kommen. Sequenzen, die für uns LeserInnen zum Vergnügen werden.
Der Roman wirft unhaltbar die Frage auf, wie nah sind sich Politik und Privates und wie sehr beeinflussen sie sich gegenseitig. Kann sich eine individualisierte Gesellschaft weiterhin aus dem politischen Geschehen raushalten oder wird der Raum der Entfaltung immer enger?
Und trotz der Schwere und Ernsthaftigkeit des Themas bleibt das Buch leicht und wirft mühelos alle Luxusprobleme über Bord.

"Mögen Sie eigentlich keine Farben?", fragte sie dann.
"Wie kommen Sie denn darauf?"
"Weil es hier keine gibt."
"Ach so? Ist mir noch nie aufgefallen, aber wissen Sie was: Mir sind Möbel völlig egal. Wohnen wird total überschätzt. Dieses ständige Rumgewohne ist mir immer schon auf den Geist gegangen."

Wunderbar! Unbedingt lesen!

Annika Reich
Die Nächte auf ihrer Seite

Hanser Verlag, München 2015

Dienstag, 14. Juli 2015